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Personalisierte Tickets & Ausschluss von Gästefans – eine gute Idee?

Aktualisiert: 13. Dez. 2021

Nach den Ausschreitungen beim Zürcher-Derby vom 23. Oktober wurde eine grosse Diskussion bezüglich Sicherheit in den Schweizer Fussballstadien ausgelöst. Braucht die Schweiz Massnahmen wie personalisierte Tickets und geschlossene Gästesektoren?


Die Diskussion um härtere Massnahmen rund um Fussballspiele und Fankurven in der Schweiz ist nicht neu. Ein proaktives Vorgehen, um die Gewaltprobleme in den Ultragruppierungen zu bekämpfen, gab es bislang aber nicht. Einzelne Experimente in der Vergangenheit scheiterten grandios. Ein Grund für die lange zögerliche Vorgehensweise der Liga ist die Tatsache, dass unter den „gängigen“ Massnahmen – wie etwa Zuschauerausschlüsse, Verbannung von Gästefans oder ähnlichem – das Produkt Super League stark leidet. Denn der dadurch wegbrechende Teil des Publikums ist nur schwer zu ersetzen, der Zuschaueraufmarsch von „gemässigten“ Fans ist in der Schweiz nämlich viel zu gering. Die Fankurven bringen Stimmung und Farbe in die Stadien, die ohne sie vielerorts selten gefüllt wären. Ein Heimspiel des FC Zürich ohne Südkurve ist eine triste Veranstaltung. Nimmt man die Fankurven aus den Arenen, verliert die Super League an Attraktivität.


Der erste Verein, der in diesem Jahr strikte Massnahmen einführte, war der FC Sion vor dem Saisonstart 2021/22. Der Kanton Wallis beschloss in Zusammenarbeit mit der Stadt Sion, dass Zuschauer künftig nur noch mit personalisierten Tickets ins Stade de Tourbillon kämen. Ausserdem wurde der Gästesektor geschlossen. Nur drei Monate nach der Umsetzung hatte Präsident Constantin jedoch genug davon und forderte die Regierung dazu auf, die Regelung aufzuheben, was ihm schlussendlich auch gelang. Das Scheitern dieses Versuches hat mehrere Gründe:


  • Massiver Einbruch der Zuschauerzahlen: In Sion verlor man nicht nur die eingefleischten Anhänger, welche normalerweise in der Fankurve stehen, sondern auch gewöhnliche Zuschauer.

  • Fangruppen anderer Vereine, die gegen die Massnahmen protestieren wollten, versammelten sich an den Spieltagen vor dem Stadion. Solche Aufmärsche sind für die Polizei viel schwerer zu kontrollieren, wenn man Heim- und Gästefans nicht in ihrem jeweiligen Block hat.

  • Kein anderer Verein aus der Super League zog mit. Das bemitleidenswerte Bild des leeren Tourbillions hütete andere Klubs davor, in eine ähnliche Richtung zu gehen.


Das Zürcher Derby veränderte die Dynamik


Am 23. Oktober fand eines der wohl packendsten Zürcher Stadtderbys der jüngeren Vergangenenheit statt. Die umkämpfte Partie endete in einem spektakulären 3:3-Unentschieden und lieferte beste Werbung für den Schweizer Fussball. Das, was nach dem Abpfiff geschah, aber eher weniger. Ein Mob der Südkurve drang auf die Tartanbahn des Letzigrundstadions vor und attackierte den GC-Fansektor mit Pyromaterial, ehe sich die Vermummten gedeckt in die Kurve zurückziehen konnten.



Am selben Wochenende spielte der FC St. Gallen in Luzern. Die Fanlager beider Mannschaften stehen einander traditionell nicht gerade freundschaftlich gegenüber. Auch hier kam es zu diversen Zwischenfällen, allerdings nicht im Ausmass der Vorkomnisse im Letzigrund.


Dieser 11. Spieltag brachte einen Prozess ins Rollen. Die Swiss Football League (SFL) gab kurz darauf bekannt, das man über die Schliessung der Gästesektoren nachdenke.


“Die Klubs und die SFL können und wollen einen solchen Zustand, der dem gesamten Fussball in der Schweiz immensen Schaden zufügt, nicht mehr tolerieren und prüfen deshalb die reglementarische Umsetzbarkeit für die Schliessung der Gästesektoren“

Communiqué der SFL vom 28.10.2021


Was Ende Oktober angedroht wurde, wurde mittlerweile in die Tat umgesetzt. Bis zum Ende der Hinrunde lässt die SFL die Gästesektoren schliessen – offiziell begründet als Massnahme gegen die Covid-19-Pandemie. Wie es zu Beginn der Rückrunde aussehen wird, ist aktuell noch nicht bekannt. Die Weiterentwicklung der Pandemie wird dabei aber definitiv eine Rolle spielen.




Unterdessen wurden von Seiten der Konferenz der nationalen Justiz – und Polizeidirektoren (KKJPD) wie schon in der Vergangenheit Stimmen laut, die die Einführung von personalisierten Tickets forderten. Die Schweizer Fansznenen reagierten erwartungsgemäss empört und brachten ihre Ablehnung gegen die konkrete Forderung mit diversen Statements und Protestaktionen während den Spielen zum Ausdruck. Für sie sind personalisierte Tickets ein weiterer Eingriff in die Autonomie der Fanseele. Bundesrätin Viola Amherd und die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren drücken in dieser Thematik aber aufs Gaspedal, ihnen sind die selbstregulierenden Fankurven schon lange ein Dorn im Auge.



Am 19. November traf sich die KKJPD zu einer Konferenz im Tessin. Dabei wurde entschieden, dass der Eintritt in Schweizer Fussballstadien ab der Saison 2022/23 nur noch individualisiert, also in Kombination mit einer Identitätskarte, gewährleistet werden solle. Am vergangenen Freitag, dem 10.12, hat die Arbeitsgruppe der Bewilligungsbehörde den Antrag der KKJPD beurteilt und ist zum Schluss gekommen, dass die personalisierten Tickets nicht einfach Knall auf Fall eingeführt werden, sondern zuerst ein strategisches Umsetzungskonzeot erarbeitet werden soll. Die Swiss Football League begrüsst diesen Entscheid, wie sie auf ihrer Webseite mitteilt, und wird am Konzipierungsprozess teilhaben.


Personalisierte Tickets und permanente Schliessung der Gästesektoren dürften negative Folgen haben...


Es gibt einige Punkte, die gegen eine Einführung von personalisierten Tickets und eine dauerhafte Schliessung der Gästesektoren sprechen. Der wesentlichste Grund ist in erster Linie – wie anfangs bereits angetönt – die negativen Auswirkungen, die diese Massnahmen auf das Produkt „Schweizer Fussball“ haben würden, schliesslich wäre mit einem massiven Zuschauerrückgang zu rechnen. Die Super League hat in einem hart umkämpften TV-Markt ohnehin schon einen schweren Stand. Leere Stadien ohne Ambiente verschlechtern die Qualität des Angebots und würden nicht dabei helfen, Interesse bei unbeteiligten Fans zu wecken. Dadurch muss die Liga mit Umsatzeinbussen rechnen. Die Vereine müssen das sowieso, da weniger Publikum in den Stadien für sie automatisch weniger Einnahmen bedeutet.


Darüber hinaus birgt der Ausschluss von Gästefans schlicht mehr Unberechenbarkeit. Wenn Vereine wie Basel, die Berner Young Boys oder der FC Zürich ein Auswärtsspiel bestreiten, bringen sie in der Regel zwischen 800 und 1100 Fans mit. Diese reisen mit dem Extrazug an und verfolgen das Spiel im Gästesektor. Werden die Auswärtsblocks geschlossen, verlagert sich das Problem einfach von innerhalb nach ausserhalb des Stadions. Dass die eingefleischten Fans nämlich schlicht nicht mehr mit ihrem Team mitreisen würden, ist eine Illusion. Diese Versammlungen vor dem Stadion sind für die Polizei noch viel schwerer zu kontrollieren und gerade bei Hochrisikospielen problematsich. Der Spieltag von diesem Wochenende (11. / 12.12) ist ein gutes Beispiel dafür. Die Fanszenen des Landes riefen dazu auf, trotz der geschlossenen Gästesektoren individuell an die Spiele zu reisen und ihre Mannschaft von ausserhalb des Stadions zu unterstützen.


Unsere Position


Die Bolzplazz-Redaktion hat eine klare Position zu dieser Thematik. Für den Schweizer Fussball wäre es schädlich, wenn die Fankurven nicht mehr in ihrer angestammten Form vorhanden wären. Gewalt und fliegende Petarden haben natürlich keinen Platz in den Stadien. Aber der vielbeschworene zwölfte Mann, der sich zum grössten Teil aus der aktiven Fankurve speist, ist ein essentieller Teil dieser Sportart. Gerade Derbys oder andere wegweisende Partien leben von einer elektrisierenden Stimmung. Diese darf ruhig auch etwas "geladen" sein. Ein gewisses Mass an Provokation zwischen den beiden Fanlagern gehört dazu, solange sie auf verbaler Ebene bleibt.


Gerade für junge Leute sind die Fansektoren ein Ort mit fast magnetischer Anziehungskraft. Die Ultras wirken auf Jugendliche faszinierend. Ursprünglich aus Italien adaptiert und in der Schweiz als erstes in Genf (Section Grenat 1988) zu sehen, ist die Ultrakultur mittlerweile die grösste sportlich-gesellschaftliche Subkultur in der Schweiz. Diese erlebnisorientierte Kultur, die kreativ, laut und manchmal auch unbequem sein kann, bietet jungen Menschen einen gewissen Freiraum. Dieser kommt in der heutigen Gesellschaft vielerorts zu kurz. Somit haben Fansektoren auch eine soziale Funktion und dienen Mitgliedern aus allen möglichen Gesellschaftsschichten als Zufluchts- und Kraftort.


Ja, die Fansszene hat auch Schattenseiten. Gewalt soll und darf nicht toleriert werden. Allerdings muss klargestellt werden, dass es in den Stadien unseres Landes grundsätzlich durchaus genügend Sicherheitsvorkehrungen gibt, die tatsächliche Anzahl an Vorfällen ist klein – gerade, wenn man zum Vergleich in diesem Herbst nach Frankreich blickt. Physische Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Ultragruppierungen finden kaum je im Stadion selber statt, sondern werden im Rahmen von organisierten Kämpfen abseits der Öffentlichkeit ausgetragen. Geschehen dennoch Ausschreitungen wie jene am 23. Oktober in Zürich, ist die Polizei gefordert, die Schuldigen ausfindig zu machen und Stadionverbote zu verhängen. Kollektivstrafen gegen den Schweizer Fussball sind aber völlig fehl am Platz – und schaden dem Sport.

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