- Livio Dörig
Grosser Konkurrenzkampf: Wer stürmt für den FCSG?
Nach den Abgängen von Cedric Itten und Ermedin Demirovic wurde in der vergangenen Saison schmerzlich ein Torjäger in den St. Galler Reihen vermisst. Auch im Hinblick auf die neue Spielzeit fehlt ein grosser Name im Kader. Stattdessen hat Trainer Zeidler im Angriff die Qual der Wahl. Bolzplazz analysiert alle Stürmer und zeigt auf, welche Akteure die besten Karten für die Startelf haben.

Es ist kein Geheimnis, dass sich der FCSG formationstechnisch wohl auch in der neuen Saison treu bleibt und Zeidler seine Mannen weiterhin in einem 4-3-1-2-System auf den Rasen schicken wird. Dieses System hat sich bewährt und ist bestens für den laufintensiven und vorwärtsdenkenden Fussball des Deutschen geeignet. Durch das typische FCSG-Pressing soll sich der Gegner keine Sekunde lang in Sicherheit wähnen und dank dieser Grundformation ist die Umsetzung des aggressiven Anlaufens optimal möglich.
Während in der Defensive und im Mittelfeld die Rollen – auch mangels qualitativ starken Alternativen – mehr oder weniger klar verteilt sind, kann der 58-Jährige im Angriff aus zig Spielern wählen. Im Kader der Ostschweizer tummeln sich derzeit zehn (!) Akteure, welche grundsätzlich für die beiden Plätze im Sturm in Frage kommen. Der junge Angelo Campos und der letztjährige Transfer-Flop und Leih-Rückkehrer Florian Kamberi haben jedoch keine Chancen auf Einsatzzeit und sollen den Klub noch verlassen, weswegen sie hier nicht weiter erwähnt werden.
Damit bleiben noch acht Anwärter für zwei Positionen. Eines vorweg: Der FC St. Gallen absolvierte fünf Testspiele und dabei kamen nicht nur alle Stürmer zum Einsatz, sondern es haben auch alle mindestens ein Tor erzielt. In der Vorbereitung lief der Konkurrenzkampf im Angriff also heiss und jeder konnte Argumente für einen Platz in der ersten Elf sammeln.
Kwadwo Duah, 24
Obwohl Duah in der letzten Saison mit 10 Treffern St. Gallens bester Torschütze war, dürfte der 24-Jährige alles andere als gesetzt sein. Gerade in der vergangenen Rückrunde lief es dem Schweizer nicht wunschgemäss und er liess zu viele Grosschancen liegen. Die fehlende Kaltschnäuzigkeit ist zweifelsohne ein Problem. Der gebürtige Berner ist eigentlich auch kein echter Neuner, sondern ist dank seinem Tempo gut auf den Aussen aufgehoben. Kommt Duah aber mal ins Rollen und vertraut in seine Stärken, haben die Espen einen starken Super League-Spieler in ihren Reihen. Er kombiniert Schnelligkeit und Physis, was ihn zu einem spannenden Stürmertypen macht. In den Testspielen traf Duah zwei Mal, allerdings nur gegen den deutlich unterklassigen FC Uzwil. Zum Saisonauftakt sass er zuerst auf der Bank, wurde aber für die zweiten 45 Minuten eingewechselt und brachte wie gewohnt viel Dynamik.

Élie Youan, 22
Mit seiner absoluten Glanzleistung am vorletzten Spieltag sorgte Youan dafür, dass der FCSG den Klassenerhalt schaffte und in allerletzter Minute doch noch seine Kaufoption zog. Für rund eine halbe Million Franken übernahm man den Franzosen fix vom FC Nantes und stattete ihn mit einem Vertrag bis 2024 aus. Youan vereint Schnelligkeit, Dribbelstärke und physische Präsenz und passt somit sehr gut zum Zeidlerschen Fussball. Statt als Stossstürmer kann der ehemalige U20-Nationalspieler auch im Mittelfeld eingesetzt werden und war dank seiner Polyvalenz zum Ende der letzten Saison bereits ein wichtiger Faktor für die Espen. In der Vorbereitung schoss Youan zwei Tore in drei Partien und bewies somit bereits seine Frühform. Diese bestätigte er am ersten Spieltag gegen Lausanne-Sport sogleich, mit einem Doppelpack schoss er den FCSG zu einem 2:1-Auftaktsieg.
Boris Babic, 23
In der vorletzten Spielzeit befand sich Babic gefühlt in der Form seines Lebens und hatte grossen Anteil am St. Galler Höhenflug. Doch wie es das Schicksal so will, wurde er im Frühjahr 2020 jäh von einem Kreuzbandriss gestoppt. Der 23-Jährige ackerte in der Reha extrem hart und so gab er bereits im Oktober letzten Jahres sein Comeback. Vom «alten» Babic war jedoch leider nicht mehr sonderlich viel zu sehen, denn mit gerade einmal drei Torbeteiligungen gehörte er zu den Verlierern der letzten Saison. Der Rechtsfuss ist beim Ostschweizer Publikum wegen seiner Einsatzbereitschaft aber nach wie vor extrem beliebt. Es ist ihm zu wünschen, dass er die Spritzigkeit und den Torjägerinstinkt von vor der gravierenden Verletzung wieder findet. Er absolvierte alle Testspiele und zeigte mit zwei Toren, dass durchaus wieder mit ihm zu rechnen ist. Am 1. Spieltag gegen Lausanne absolvierte er die erste Hälfte, blieb aber weitestgehend ohne Akzente.

Alessio Besio, 17
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätten nur die wenigsten Kenner der FCSG-Nachwuchsteams darauf gesetzt, dass Besio den Durchbruch schafft. Doch spätestens in der letzten Saison avancierte der gebürtige St. Galler zur grossen Ostschweizer Sturmhoffnung. Mit bärenstarken Aufritten in der Swiss U18 Elite League machte er Zeidler auf sich aufmerksam, welcher ihm dann am letzten Spieltag 2020/21 das Vertrauen schenkte und sofort dafür belohnt wurde: In seinem ersten Profieinsatz erzielte Besio prompt auch sein erstes Tor und verhalf dem FCSG so zu einem 2:1-Auswärtssieg über Servette. Ausgestattet mit einem Profivertrag bis 2023, machte das 17-jährige Eigengewächs auch in der Vorbereitung so richtig Dampf und netzte dreimal in fünf Partien, darunter war auch ein Tor gegen La Liga-Vertreter Athletic Bilbao. Am 1. Spieltag der neuen Saison beorderte Zeidler seinen Schützling sogleich in die Startelf, was Besio mit dem Assist auf Youans 1:0 zu rechtfertigen wusste. Der junge Angreifer ist mit seinen 1,85 m Körpergrösse physisch schon extrem stark und besticht neben seiner körperlichen Power vor allem auch durch tolle Abschlussqualitäten. Es könnte ein echtes Sturmjuwel in Reihen des FC St. Gallen 1879 heranwachsen.
Jérémy Guillemenot, 23
Der ehemalige Juniorenspieler des grossen FC Barcelona wirkt in vielen Szenen sehr frustrierend. Geniale Ansätze wechselten sich auch in der letzten Spielzeit mit haarsträubenden Aktionen ab. Der Genfer bringt technisch und von der Einstellung her alles mit, um ein überdurchschnittlicher Angreifer zu sein, doch meist versagen ihm in den entscheidenden Momenten vor dem Tor die Nerven. Auch an der diesjährigen U21-EM vergab er im Nati-Dress einige Grosschancen. In der Vorbereitung stand er in drei von fünf Spielen auf dem Platz und verbuchte dabei zwei Tore. Wird der 23-Jährige nicht bald auch im Ligabetrieb kaltschnäuziger, bleibt er wohl höchstens als Zehner hinter den Spitzen eine valable Option für Zeidler. Egal auf welcher Position: Der Genfer muss dringen auch seine Fallsucht im gegnerischen Sechzehner in den Griff bekommen.

Fabian Schubert, 26
Der Österreicher ist bislang so etwas wie der Königstransfer der St. Galler. Ablösefrei von Blau-Weiss Linz aus der österreichischen zweiten Liga gekommen, verbuchte der 1,94 m-Hüne in der vergangenen Saison wettbewerbsübergreifend sagenhafte 50 Scorerpunkte in 31 Partien. Der Knoten ist beim 26-jährigen Spätzünder so richtig geplatzt, in den Jahren davor war eine solche Entwicklung nicht mal im Ansatz erahnbar. Schubert hat dank seiner Grösse viele physische Vorteile, besitzt clevere Laufwege und er fackelt nicht lange vor dem Tor. Sein Spielstil lässt sich ein wenig mit jenem von Harry Kane vergleichen, verfügt Schubert doch auch über Qualitäten im Passspiel und im Auflegen von Toren. Auch in der Sommervorbereitung zeigte der Stürmer schon gute Ansätze und stellte mit drei Treffern bereits seine Stärken als Goalgetter unter Beweis. Auch er wurde gegen Lausanne zur Pause eingewechselt und zeigte ein ordentliches Debüt.
Mehr zu Schubert gibt es hier.
Lorenzo Gonzalez, 21
Der ehemalige Guardiola-Schützling und einstige Sturmhoffnung der Fussballschweiz ist nach einem weiteren gebrauchten Jahr mittlerweile auf dem harten Boden der Realität angekommen. Nach seinem Kreuzbandriss hatte Gonzalez deutlichen Trainingsrückstand und vermochte trotz Genesung nicht nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen. Zeidler ist nicht der grösste Fan des kleinen Stürmers und so stehen gerade einmal 22 Super League-Minuten auf seinem Konto. Die Anlagen bringt der grundsätzlich hochtalentierte Gonzalez zweifelsohne mit, doch er muss dringend auch die Prinzipien des FCSG verinnerlichen: Kollektiv vor Individuum, hohe Intensität und grosse Laufbereitschaft. Der gebürtige Genfer hat in der Vorbereitung gerade einmal ein Testspiel bestritten, konnte dabei aber immerhin einen sehenswerten Treffer erzielen. Zum Saisonauftakt in Lausanne fehlte der 21-Jährige im Aufgebot. Gut möglich, dass man sich noch in diesem Sommer voneinander trennen wird.
Isaac Schmidt, 21
Der gebürtige Lausanner ist eigentlich ein Flügelspieler. Da Peter Zeidler ohne klassische Aussen aufstellt, dürfte Schmidt jedoch vorderhand im Sturm zu Einsätzen kommen. Der quirlige ehemalige U20-Nationalspieler kam in der letzten Spielzeit zu einigen Kurzeinsätzen und konnte so erstmals Super League-Luft schnuppern. Bei den Waadtländern wurde sein Vertrag trotz viel Potential nicht verlängert und so schnappte sich Alain Sutter den Angreifer. Sicherlich fehlt dem 21-Jährigen noch etwas die Coolness vor dem Tor und die physische Durchsetzungskraft, doch gerade im Konterspiel kann der agile und dribbelstarke Schmidt zu einer gefährlichen Waffe der Espen werden. In den Testspielen kam er entweder im Sturm oder im Mittelfeld zum Einsatz und konnte mit zwei Toren positiv auf sich aufmerksam machen. Doch auch für den Neuzugang hatte es auf dem Matchblatt am 1. Spieltag noch keinen Platz. Im Laufe der Saison könnte er aber in eine interessante Rolle als Konterspieler oder Superjoker hineinwachsen.
Fazit
Trainer Peter Zeidler ist in dieser Hinsicht wirklich nicht zu beneiden. Für die Besetzung der Doppelspitze hat er die Qual der Wahl. Zum einen fördert ein derart intensiver Konkurrenzkampf sicherlich die individuellen Leistungen, zum anderen würde es aber auch niemanden überraschen, wenn es noch Abgänge geben würde. Vor allem Guillemenot und Gonzalez stellen neben Kamberi und Campos die wahrscheinlichsten Abschiedskandidaten dar. Mit Schubert hat man einen ganz interessanten Mann in die Ostschweiz gelotst. Ob er allerdings auch im anspruchsvolleren Schweizer Oberhaus direkt so treffsicher sein wird, muss sich erst noch zeigen. Die Eindrücke aus der Vorbereitung hat Zeidler mit seiner Aufstellung am 1. Spieltag gegen Lausanne-Sport bestätigt: Besio, Babic und Youan agierten alle von Beginn an. Während die ersten beiden zur Pause durch Duah und Schubert ersetzt wurden, avancierte Youan aus einer zurückgezogenen Rolle im Mittelfeld heraus mit zwei Treffern zum Matchwinner. Ihn in den kommenden Wochen aus dem Team zu nehmen, dürfte Zeidler kaum einfallen. Während die Doppelspitze also hart umkämpft ist, scheint Youan dank seiner Sonderrolle am ehesten eine Startelfgarantie zu besitzen.