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Experten Diskussion: Wer ist der "most underrated" Spieler der Super League?
Wer ist der unterschätzteste Spieler der Super League? Dieser kontroversen Frage gehen fünf Schweizer Fussballexperten nach – mit fünf verschiedenen Antworten.
Livio Dörig:
Mijat Maric, FC Lugano
Auf den ersten Blick wirkt die Wahl eines 36-jährigen Innenverteidigers als unterschätztesten Spieler der Liga etwas skurril, doch für mich ist Mijat Maric einer jener Akteure, die trotz ihrer enormen Wichtigkeit nie die verdiente Anerkennung und Wertschätzung erhalten, die sie verdienen. Der in Minusio geborene Schweiz-Kroate stand in seiner langen Karriere schon bei St. Gallen, Luzern, Bari (ohne Einsatz), KAS Eupen, KSC Lokeren und nun beim FC Lugano unter Vertrag. Der Einfluss Marics in dieser Saison lässt sich wunderbar anhand von zwei Statistiken ablesen: Mit dem 1,88 m-Mann in der Startelf holten die Luganesi im Schnitt 1,68 Punkte pro Partie; ohne ihn sind es nur mickrige 0,5 Pünktchen pro Spiel. Und stand Maric auf dem Rasen, kassierte der FC Lugano gerademal 15 Gegentore in 17 Matches; ohne den ehemaligen Schweizer U21-Internationalen sind es 11 Gegentreffer in 6 Partien.
Lugano-Trainer Maurizio Jacobacci stellt sein Team meist mit einer Dreier- bzw. Fünferkette auf. Mijat Maric agiert dann als zentraler Mann in der Defensivreihe. Dabei verkörpert er die heutzutage eher in Vergessenheit geratene Rolle des Liberos und besticht vor allem mit seiner beeindruckenden Abgeklärtheit und Routine. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Härte, geht Maric geschickt in sämtliche Boden- und Luftduelle, entschärft gefährliche Flankenbälle und organisiert gleichzeitig als Abwehrchef seine jüngeren Nebenmänner und Vorderleute. Nebst seinen Defensivqualitäten glänzt der zweimalige belgische Pokalsieger in dieser Spielzeit auch in puncto Offensivoutput: 2 Tore und 2 Assist gehen bereits auf sein Konto. Die genannten Zahlen, gepaart mit der starken Ausstrahlung und der Führungsstärke Marics zeigen, dass die Tessiner sehnlichst auf die Rückkehr des momentan verletzten Verteidigers warten. Schaut man sich die Wichtigkeit und die Persönlichkeit von Maric an, müsste sein Ende Juni auslaufendes Arbeitspapier – trotz seines sehr fortgeschrittenen Alters – eigentlich nochmals verlängert werden. Ältester je in der Super League eingesetzter Feldspieler ist übrigens Gaucho-Haudegen Walter Samuel mit 38 Jahren 2 Monaten und 2 Tagen. Ein Bestwert, den Maric durchaus knacken könnte…
Chris Eggenberger:
Antonio Marchesano, FC Zürich
Antonio Marchesano war in der laufenden Super-League-Saison an 13 Toren direkt beteiligt (8 Tore, 5 Vorlagen), ligaweit nur YBs Jean-Pierre Nsame an mehr (16, Statistiken via fbref.com). Der 30-jährige Tessiner ist beim FC Zürich ein Leader auf dem Platz, orchestriert die Laufwege der Offensivspieler mit und gegen den Ball und ist, wenn zum Beispiel Assan Ceesay auf den Flügel abdriftet, auch gerne mal vorderster Mann. Schon in der Vorsaison hatte Marchesano 12 Torbeteiligungen gesammelt, beim FCZ nur Blaz Kramer mehr (15).
Lange jedoch hatte es beim offensiven Mittelfeldspieler nicht nach der grossen Karriere ausgesehen. Als Jugendspieler konnte sich der italienisch-schweizerische Doppelbürger bei Bellinzona und Lugano nicht durchsetzen und spielte jahrelang in der Challenge League, unter anderem bei Locarno und Biel. 2016, nach dem Abstieg des FCZ in die Zweitklassigkeit, bekam Marchesano beim Stadtklub die Chance und kam nach dem Wiederaufstieg, im August 2017 im Alter von bereits 26 Jahren und 7 Monaten zu seinem Debüt in der Super League. Seither ist Marchesano in der Zürcher Offensive gesetzt, speziell seit dem Muskelfaserriss von Benjamin Kololli Mitte Dezember 2020 ist er beim Stadtklub der Dreh- und Angelpunkt des Angriffs. In 8 Ligaspielen im Jahr 2021 war er an 7 Treffern direkt beteiligt, von insgesamt 14, die das Team erzielte. Marchesano liefert trotz der nicht gerade offensiven Spielphilosophie von Trainer Massimo Rizzo überragende Zahlen und hat sehr grossen Anteil daran, dass der FCZ aktuell auf Tabellenplatz 4 steht.
Maximilian Wagner:
Joël Schmied, FC Vaduz
Im letzten Sommer wechselte der ehemalige Schweiz Jugendnationalspieler, der dem Nachwuchs der Young Boys entstammt, nach einer kleinen Leih-Odyssee über Breitenrain, Rappi und Wil zum Super League Aufsteiger nach Vaduz. 2019/20 in Wil unter Ciriaco Sforza stand Schmied in 36 von 36 möglichen Partien im Einsatz und der Berner wusste nicht nur als Dauerbrenner auf sich aufmerksam zu machen, sondern ebenso mit Leistung. Der 22-jährige Innenverteidiger verpasste auch in dieser Saison erst ein Spiel, avancierte sogar mit fünf Treffern zum internen Toptorjäger des FC Vaduz. Diese offensive Power, gepaart mit einer defensiven Solidität und Stilsicherheit, mit der Super League-Neuling Schmied weitaus erfahreneren Kollegen in nichts nachsteht, machen aus dem Vaduzer Abwehrmann so etwas wie den Mann der Stunde im Fürstentum. Nur YB spielt eine bessere Rückrunde als die Liechtensteiner, und entscheidenden Anteil daran hat Schmied.
Unglaublich zweikampfstark, überlegt in Luftduellen und gefährlicher vor dem gegnerischen Tor als so mancher gelernte Stürmer: Die 1,88m-Abwehrkante gehört zu den Entdeckungen der Saison und wird nach seinen tollen Auftritten das Interesse grösserer Klubs geweckt haben. Zurzeit gehört Schmied wohl zu den formstärksten Innenverteidigern mit Schweizer Pass, Vladimir Petkovic wird sich den gebürtigen Berner in naher Zukunft definitiv genauer ansehen. Solange er weiterhin in Vaduz unter Vertrag steht, wird er wohl kaum die Beachtung finden, die er verdient. Joel Schmied ist daher eine absolut berechtigte Wahl für den „most underrated“ Super League-Spieler.

Emanuel Staub:
Ibrahima Ndiaye, FC Luzern
Kandidaten für den Titel „most underrated Super League-Spieler“ gibt es viele. Mit Ibrahima Ndiaye soll aber ein Spieler in den Mittelpunkt gerückt werden, mit dem wohl die wenigsten gerechnet hätten, der aber zu den spektakulärsten Fussballern in der Schweiz zählt. Unfassbar wendig, flink und dribbelstark tanzt der senegalesische Flügelstürmer zur Freude des neutralen Fans durch die Super League. Vor eineinhalb Jahren holte ihn der FC Luzern als ungeschliffenen Rohdiamanten aus Ägypten. Ndiaye besitzt überragende Anlagen und rohes Potential, das er für den FCL aber noch zu wenig in nackte Scorerpunkte übersetzt. Seine mitreissenden Tempodribblings sind zwar unterhaltsam, wirklich effizient zeigt sich der 22-Jährige in der Schweiz aber noch nicht: In 52 Partien für die Luzerner glückten Ndiaye erst 8 Tore und 2 Vorlagen. Trotzdem bringt der ehemalige U23-Nationalspieler eine eigene Dynamik und viel Schwung auf den Platz, sobald er den Rasen betritt.
Im Eins gegen Eins gehört Ndiaye zu den stärksten Spielern der Liga, seine tolle Dribbeltechnik und sein Speed machen ihn extrem schwer auszurechnen und kaum zu verteidigen. Oft sucht er den Weg zur Grundlinie, von wo aus er Flanken schlägt oder rotzfrech versucht, sich seinen Weg in den Strafraum zu kurven. Ndiaye hat unter Celestini zumeist die Jokerrolle inne. Einerseits wegen der starken Konkurrenz (Varol Tasar, Filip Ugrinic, Louis Schaub, Yvan Alounga, Pascal Schürpf), andererseits auch, weil sein Spielstil und sein Hang zum Spektakel wohl zu sehr den klaren taktischen Vorgaben und Erwartungen des FCL-Trainers widersprechen. Mit Ndiaye hat Celestini aber stets ein Ass im Ärmel: Kommt er zum Einsatz, wirbelt er seine Gegner gehörig durcheinander und schafft dadurch viele Räume für seine Mitspieler und ist somit jederzeit in der Lage, einen direkten Impact auf den Spielverlauf zu haben. Ihn auf der Bank zu haben ist purer Luxus und spricht für die Qualität in der FCL-Offensive, notabene die zweitbeste der Liga. Trotzdem sind Ndiayes Anlagen zu gut, als dass er dauerhaft zum Edelreservisten taugt. Über kurz oder lang wird er sich in der Innerschweiz festspielen und zu einem unverzichtbaren Faktor werden. Bis es soweit ist, bewegt sich Ndiaye aber weiterhin unter der Oberfläche. Bis auf weiteres bleibt er extrem unterschätzt und das, obwohl er wöchentlich mit seinen Dribbelkünsten, den abrupten Richtungswechseln und seiner unvergleichlichen Offensivlust für Freude unter allen Fans des schönen Fussballs sorgt.
Giacomo Notari (Eco dello Sport / proxifoot) :
Theo Valls, Servette FC
Den „most underrated player” der Super League zu wählen ist nicht ganz einfach. Ich hätte mich für viele andere entscheiden können, will nun aber für einmal Théo Valls von Servette ins Spotlight rücken. Der 25-Jährige kam im letzten Sommer mit einem tollen Leistungsnachweis nach Genf. Er feierte seinen Durchbruch als Profi bei Olympique Nîmes, wo er über 50 Ligue 1- und über 90 Ligue 2-Auftritte absolvierte. Geiger vertraute seinem Neuzugang sofort und Valls wurde direkt Stammspieler. Servettes Nummer 15 zeigte auf Anhieb wie wertvoll er für das gesamte Team sein wird, indem er Stabilität, Ruhe und fussballerische Qualität ins Mittelfeld brachte. Mittlerweile ist Valls unverzichtbar, vor allem in einer Spielzeit wie der aktuellen, in welcher Servettes Motor ins Stocken geraten ist.
Ein Grund dafür: Einige Genfer Mittelfeldspieler haben meiner Ansicht nach nicht mehr dieselbe Effizienz und bringen nicht mehr dieselben Leistungen wie in der letzten Saison – beispielsweise Cognat, Ondoua oder Imeri. In diesem Kontext ist Valls umso wertvoller für Servette: Er ist der Konstanteste aller Mittelfeldspieler in der Mannschaft und liefert jedes Wochenende gute Performances ab.
Der französische Spielmacher wird nun für seinen grossen Aufwand auch mit schönen Zahlen belohnt: In seinen letzten sechs Partien sammelte Valls vier Assists und ein Tor. Ohne Zweifel könnten es sogar noch mehr sein, würden seine Vorderleute kaltschnäuziger auftreten. Ausserdem darf man nicht vergessen, dass Valls oftmals den pre-Assist gibt, also den zweitletzten Pass, der leider in keiner Statistik erscheint, obwohl er fast genauso wichtig wie die eigentliche Torvorlage ist. Das neuste Beispiel: Valls trat den Corner, der am Samstag gegen den FC Zürich zum zwischenzeitlichen 1:1 führte. Wie ich schon sagte: Valls ist einer von vielen, die mehr Anerkennung verdienen. Vielleicht ist gerade seine Ruhe und seine Professionalität der Grund, warum er ein wenig übersehen wird. Aber dass er fähig ist stets Leistung zu bringen, sogar in einer Saison wie dieser, wo es fast schon normal ist dreimal pro Woche zu spielen, spricht für seine Qualität. Wir können mit Fug und Recht sagen, dass Théo Valls etwas an sich hat, was nicht viele andere in der Super League mitbringen. Man wird sehen, ob der Franzose einer derjenigen Spieler sein kann, die Servette wieder zu den europäischen Plätzen führen wie es in der letzten Spielzeit ja gelang. Wenn wir ehrlich sind, lässt sich kaum vorhersagen, wie die Tabelle hinter YB im Mai aussehen wird. Aber was wir wissen: Valls wird liefern – und hoffentlich bald nicht mehr unter dem Radar schwimmen.
Nach 19 Jahren: Lugano wieder Leader in der RSL - Maric sei Dank: https://www.aargauerzeitung.ch/sport/der-fc-lugano-ist-erstmals-seit-19-jahren-leader-in-der-super-league-ld.1277063
Spätzünder Marchesano: https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/bin-zu-spaet-zum-fcz-gekommen-nach-sion-flop-dachte-marchesano-ans-aufhoeren-id16360524.html
Schmied spielt gross auf: https://www.sport.ch/fc-vaduz/732588/abwehrchef-und-topscorer-dieser-ehemalige-yb-junior-ist-ein-kandidat-fuer-eine-kuenftige-meister-mannschaft
Ndiaye einer für die Bundesliga? https://www.zentralplus.ch/ich-traue-ndiaye-den-sprung-in-die-bundesliga-zu-1611793/
Valls, der neue Servette-Motor: https://www.tdg.ch/valls-le-nouveau-moteur-de-servette-946924570200