Die unwahrscheinlichen Europacup-Helden des FC Vaduz

Gastbeitrag Luca FeurerDer FC Vaduz qualifiziert sich nach aufsehenerregenden Siegen über Koper (Slowenien) und Konyaspor (Türkei) erstmals für ein europäisches Playoff – und ist jetzt nur noch einen Schritt von der Teilnahme an der Conference-League-Gruppenphase entfernt. Was macht den Challenge-League-Vertreter international so stark?

Während sich der FC Zürich und die Young Boys erwartungsgemäss für die Playoffs der Europa League resp. der Conference League qualifiziert haben, sich der FC Basel gegen Bröndby weitergezittert hat und der FC Lugano gegen Hapoel Beer Sheva unglücklich ausgeschieden ist, läuft bei unseren Nachbarn in Liechtenstein Historisches ab: Der FC Vaduz schlug am Donnerstagabend im Hexenkessel von Konya vor über 27’000 Fans den letztjährigen Drittplatzierten der türkischen Süper Lig mit 4:2. Schon das Hinspiel im beschaulichen Rheinpark-Stadion gestalteten die Vaduzer äusserst beachtlich und erspielten sich ein mehr als respektables 1:1. Dass ein Schweizer Zweitligaverein einen türkischen Grossklub mit einem Gesamtskore von 5:3 aus einem europäischen Wettbewerb kegelt, kommt einem kleinen Fussballwunder gleich. Ein Fussballwunder, das wir in den folgenden Zeilen zu erklären versuchen…

Der FC Vaduz tritt bereits das zweite Jahr in Folge in der Challenge League an. Den Saisonstart haben die Ländle-Kicker heuer aber vermasselt: Zwei Unentschieden (gegen Aarau und Yverdon) und zwei Niederlagen (gegen Wil und Bellinzona) sind die magere Ausbeute nach den ersten vier Partien der Spielzeit 2022/23. Verzeihbar – denn der FC Vaduz setzt ganz klar auf die Karte Conference League und wurde dafür nun mit einem historischen Erfolg belohnt.

Das internationale Abenteuer startete auswärts in der slowenischen Küstenstadt Koper. Dort setzte sich der FCV dank dem goldenen Treffer von Tunahan Cicek überraschend mit 1:0 durch. Ein enorm wichtiger Auswärtssieg, der sieben Tage später das Weiterkommen ermöglichen sollte. Im heimischen Rheinpark erspielten sich die Vaduzer nämlich ein 1:1 nach Verlängerung und setzten sich so in der Gesamtwertung mit 2:1 durch. Nach der ersten Überraschung gegen den slowenischen Vizemeister folgte schliesslich zwei Wochen später die grosse Sensation gegen Konyaspor.

Ein Blick auf das Kader des FC Vaduz

Ein Blick auf das Kader des FC Vaduz offenbart dem Betrachter schnell die Taktik, die Sportchef Franz Burgmeier bei seiner Transferpolitik verfolgt. Sämtliche Vaduzer Schlüsselspieler haben gemein, dass sie sich in der Vergangenheit anderswo nicht durchsetzen konnten. Der FC Vaduz bietet also „Gescheiterten“ eine zweite Chance und fungiert als Sprungbrett und Bühne für jene Profis, die bis dato unter dem Radar schwammen. Ein schönes Beispiel liefern die drei Torschützen vom Rückspiel gegen Konyaspor: Tunahan Cicek, Manuel Sutter und Cedric Gasser (2x) spielten einst alle in der Jugend des FC St.Gallen. In der 1. Mannschaft des FCSG hatte aber keiner Erfolg. Via Umweg Vaduz sind sie nun doch noch alle im Profifussball heimisch geworden.

Mit dieser Strategie konnte der FC Vaduz in der letzten Zeit schwerwiegende Abgänge gut kompensieren. Für Pius Dorn (wechselte vor einem Jahr zu Thun, nun in Luzern) kam Fabio Fehr aus dem GC-Nachwuchs, für Matteo Di Giusto (nun beim FC Winterthur) kam Franklin Sasere vom FC Lugano, für den kürzlich ebenfalls nach Winti abgewanderten Innenverteidiger Yannick Schmid wurde Arbenit Xhemajili (ex FCZ-Junior) vom AFC Sunderland verpflichtet. Auch Spieler wie Anes Omerovic (Aston-Villa-Jugend), Anthony Goelzer oder Kevin Iodice (beide GC) sorgen für eine gute Breite im Kader und unterstreichen, welchen Weg der FCV bei der Rekrutierung von neuem Spielermaterial beschreitet.

Ein Schuss Liechtenstein

Als einziger Profiverein Liechtensteins werden aber die meisten Spieler aus dem eigenen Land kommen? Falsch gedacht. In der letzten Saison spielten nur gerade zwei Nationalspieler Liechtensteins in der 1. Mannschaft des FC Vaduz. Stammkeeper Benjamin Büchel und Justin Ospelt, sein Ersatz. Das änderte sich in diesem Sommer: Zum einen verpflichtete Vaduz Lars Traber vom Promotion-League-Klub SC Brühl. Der junge Innenverteidiger, der übrigens auch in der Jugendabteilung des FC St.Gallen gespielt hat, rückt in dieser Saison in den Vordergrund, zeigt konstant gute Leistungen und verteidigte in beiden Spielen gegen Konyaspor exzellent.

Ebenfalls kehrte auf diese Saison hin Nicolas Hasler zum FC Vaduz zurück. Der zweimalige Liechtensteiner Fussballer des Jahres spielt nach einem Amerika-Abenteuer (Toronto FC, Chicago Fire und Sporting Kansas City) und einem Abstecher beim FC Thun nun wieder in seinem Heimatland. Die beiden Nationalspieler geben dem Team weitere Kadertiefe und erhöhen den Liechtensteiner Anteil im Team und damit auch den Identifikationswert des Vereins in der Region.

Ein Tessiner Taktikfuchs tritt das Erbe von Mario Frick an

Der FC Vaduz wurde in den vergangenen Jahren stark von Mario Frick geprägt. Der ehemalige Nati-Stürmer Liechtensteins führte den Verein zurück in die Super League und errang in der letzten Spielzeit die Wintermeisterschaft in der Challenge League. Frick setzte konsequent auf ein 3-4-1-2-System und hatte damit viel Erfolg. Besonders eindrücklich war die Rückrunde der Saison 2020/21, als dem Underdog die zweitbeste Halbserie aller Super-League-Teams gelang. Für den Klassenerhalt reichte es am Ende aber trotzdem nicht, die starken Leistungen der Vaduzer machten jedoch Lust auf mehr.

Ein halbes Jahr nach dem Abstieg verliess Mario Frick Vaduz in Richtung Luzern. Neuer Trainer wurde Alessandro Mangiarratti. Der 43-Jährige stiess von der U21 des BSC Young Boys ins Ländle. Nach einem zähen Start – in Zuge dessen die Aufstiegsplätze trotz Rang 1 in der Winterpause noch verspielt wurden – sprang der Funken gegen Ende der Saison doch noch über und zum Schluss fehlten dem FCV lediglich fünf Punkte zum Aufstieg. In der Endabrechnung einer unglaublich ausgewogenen Challenge-League-Saison bedeutete das Rang 4.

Spätestens nach dem europäischen Märchen gegen Koper und Konyaspor ist Mangiarratti nun endgültig in Vaduz angekommen. Sieht man von enttäuschenden Liga-Start ab, lässt sich auch die Handschrift des Tessiners immer besser erkennen. Im Vorfeld der Conference-League-Quali-Partien predigte er, dass sein Team den grossen Favoriten ein Bein stellen und keck aufspielen wolle – gesagt, getan. Mangiarratti fand gerade gegen Konyaspor den idealen Mix zwischen diszipliniertem Bollwerk und frechem, schnellen Umschaltspiel nach vorne. Dazu stimmte auch die Mentalität: Keiner der Spieler war sich zu schade, sich in jeden Schuss reinzuwerfen. Im Vergleich zu den bisherigen Ligaspielen verteidigten die Liechtensteiner sehr kompakt und waren dazu extrem kaltschnäuzig vor dem gegnerischen Tor.

Nun wartet Rapid Wien

Der Einzug in die Playoffs ist für den FC Vaduz bereits ein riesiger Erfolg – und das auf mehreren Ebenen: Da wäre einerseits der finanzielle Aspekt. Mit dem Erreichen der Conference-League-Playoffs ist den Liechtensteinern eine Prämie von 750’000 Euro gewiss – ein schöner Batzen für einen Schweizer Zweitligisten. Andererseits wartet in den Playoffs mit Rapid Wien nun ein echter Traditionsklub aus Österreich. Auch wenn Wien weit weg von Liechtenstein liegt, so ist die österreichische Grenze doch weniger als zehn Kilometer von Vaduz entfernt. Es dürfte daher einen ähnlich grossen Fanaufmarsch geben, wie 2020 in der 3. Runde der Europa-League-Qualifikation, als der FCV Eintracht Frankfurt empfing. Auf die Vaduzer wartet also ein Heimspiel vor grossartiger Kulisse und ein Rückspiel im Allianz Stadion in Wien vor bis zu 25’000 Zuschauern.

Der FC Vaduz hat die grosse Chance als erst dritter Challenge-League-Verein (nach Lausanne-Sport 2010/11 und dem FC Zürich 2016/17) eine europäische Gruppenphase zu erreichen. Nicht nur für die Challenge League, sondern auch für die Sichtbarkeit des Liechtensteiner Fussballs wäre das eine historische Sache. Wenn die Ländle-Kicker ähnlich beherzt wie bisher aufspielen, dann ist der Elf von Alessandro Mangiarratti auch gegen Rapid so einiges zuzutrauen…

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