- Maximilian Wagner
Die Akte Nikolic - Aufstieg und Fall des serbischen Torwarttalents
Đorđe Nikolić, wie man ihn in seinem Heimatland korrekt schreibt, zählt seit Sommer 2015 zu den spannendsten Torwarttalenten Serbiens. Schon früh entschied er sich für einen Wechsel zum FC Basel. Ob dies langfristig auf seine Karriere gesehen die richtige Entscheidung war? Im letzten August nach Omlins Abgang zu Montpellier zur neuen Nr. 1 befördert, sieht seine Situation nun sehr kompliziert aus. Bolzplazz analysiert die Lage.
Ein junger Torhüter verblüfft Serbien
Im April 1997 erblickte Djordje Nikolic in Belgrad das Licht der Welt. Der schon früh gross gewachsene Junge fand bald seinen Spass am Fussball und speziell daran, sich zwischen die Pfosten zu stellen und Tore zu verhindern. 2008, im Alter von elf Jahren, schaffte Nikolic den Sprung in die Akademie des Serbischen Topclubs FK Roter Stern Belgrad, um nur vier Jahre später, im Alter von 15 Jahren, ins Nachwuchsleistungszentrum des Erzrivalen Partizan Belgrad zu wechseln. Mit 16 trug Nikolic erstmals das Trikot seines Heimatlandes. Er durchlief alle Juniorenstufen Serbiens. Auch für die A-Mannschaft gab es schon ein Aufgebot, er blieb aber noch ohne Einsatz.
Im Sommer 2015 wurde schliesslich GFK Jagodina auf Nikolic aufmerksam und schenkte ihm sogleich auch das Vertrauen, als man ihn umgehend ins Tor in der höchsten Serbischen Spielklasse stellte – im Alter von 17 Jahren, wohlgemerkt. Jedoch konnte auch Nikolic den Abstieg des Vereins, nicht zuletzt aufgrund einer Verletzung, nicht verhindern. Die Ambitionen des jungen Torwarttalents lagen aber nicht in der serbischen Zweitklassigkeit, so entschied er sich für einen Wechsel zu einem grösseren Klub. Zum Interessentenkreis zählten Partizan, Ajax und natürlich der FC Basel, der schliesslich auch den Zuschlag bekam.
Anfänge beim FC Basel
Im Sommer 2016 wechselte Djordje Nikolic für eine Ablösesumme von 300‘000 Franken zum FC Basel in die Schweiz. In den 19 Partien, in welchen er für den späteren Absteiger Jagodina zum Einsatz kam, klingelte es 19 Mal in seinem Kasten. Mit Djordje Nikolic im Tor erreichte Jagodina eine Punktausbeute von knapp 0.8 Punkten pro Partie.
Ein 17-jähriger Stammtorwart in der höchsten serbischen Spielklasse fällt logischerweise auf, und den Scouts war er europaweit auch schon vor seinem Transfer durch seine guten Leistungen in den U-Nationalmannschaften bestens bekannt.
In seiner ersten Saison beim FCB lief es aber noch nicht wie erhofft. Gerademal zwei Spiele in der Promotion League mit der U21 und nur eine Super League-Partie gegen den FC St. Gallen konnte er in seiner FCB-Premierensaison verbuchen. Immerhin sass er gegen Ende der Spielzeit 2016/17 mehrheitlich auf der Bank als erster Ersatztorwart.
Nikolics Leih-Odyssee und Rückkehr zum FCB
Um ihm mehr Spielzeit zu ermöglichen, entschied man sich bald darauf, Nikolic leihweise abzugeben. Im Sommer 2017 bot sich dann die Möglichkeit, in die Challenge League zum FC Schaffhausen zu wechseln. Er war sogleich im Tor des FCS gesetzt und wusste mehr als nur von sich zu überzeugen. In 17 Partien liess er 21 Tore zu, behielt aber in fünf Partien, also fast in einem Drittel seiner FCS-Spiele, eine weisse Weste. Schaffhausen holte mit Nikolic als Rückhalt starke 2.2 Punkte pro Partie. In der Hinrunde 2017/18 entwickelte sich der junge Serbe zu einem Topgoalie der Challenge League.
Seine Leistungen blieben nicht lange unbemerkt: Nach nur einem halben Jahr in der Munotstadt klopfte mit dem FC Thun ein Super League-Klub bei Nikolic an. Die Berner Oberländer planten, den Schlussmann bis im Sommer 2019, also für eineinhalb Jahre, auszuleihen und ihn zur festen Nummer 1 zu machen. Doch dieser Plan ging mächtig in die Hosen: Anstatt an seine tollen Leistungen aus der Challenge League anzuknüpfen, verlor Nikolic bereits nach nur 6 Partien (5 Niederlagen, 16 Gegentore) und einem 7:2 gegen den FC Sion die Gunst von Trainer Marc Schneider. Er fiel aus der Mannschaft, Guillaume Faivre übernahm und Nikolic war von da an nie wieder auf einem Matchblatt für den FC Thun zu finden. Besonders bitter: Schneider behielt mit dem Torwartwechsel Recht und führte den FCT zurück in die Erfolgsspur. Ohne Nikolic im Tor verlor man bis Saisonende nur noch drei Partien.
Im Sommer 2018 folgte also die nächste Ausleihe. Erneut ging es für Nikolic in die Challenge League. Beim FC Aarau war der Platz als Nr. 1 im Tor noch frei. Also wollte man dem jungen Serben das Vertrauen schenken und ihn in der zweithöchsten Schweizer Fussballliga als Stammkeeper wieder aufbauen. Nach einem verhaltenen Saisonstart konnten die Aarauer mit Nikolic im Kasten aufblühen. Dank stetig verbesserten Leistungen brachte man es bis auf den Barrage-Platz. Tatsächlich ging von Mitte Oktober bis zum Saisonende nur eine einzige Partie verloren. In der Barrage folgte das schon jetzt legendäre Duell gegen Neuenburg Xamax. Nach einem 4:0-Sieg im Hinspiel, liess sich der FCA zuhause auf dem Brügglifeld von den Westschweizern vorführen und ging mit demselben Resultat unter, ehe sich Xamax im Elfmeterschiessen endgültig durchsetzen konnte.
Im Anschluss an seine starke Saison beim FC Aarau, holte der FCB Nikolic auf die Saison 2019/20 hin zurück und setzte seiner Leih-Odyssee damit ein Ende. Der Serbe hatte zu diesem Zeitpunkt genug Spielpraxis auf Profiniveau gesammelt, um als starke Nr. 2 hinter Jonas Omlin aufgebaut zu werden. Beide sollten gegenseitig von ihren Fähigkeiten im Training profitieren und bald schon setzte sich in Basel die Absicht durch, Nikolic im Falle eines Abgangs von Omlin als dessen Nachfolger zu installieren. In der Saison 19/20 kam er immerhin auf ganze 14 Einsätze für den FCB. Einerseits war Nikolic als Pokaltorwart gesetzt, andererseits erhielt er dank Verletzungen von Omlin Bewährungschancen in der Liga und in der Europa League. Gerade auf europäischem Terrain wusste er diese erstklassig zu nutzen und konnte bis zur Corona-Unterbrechung auf ganzer Linie überzeugen.

Der Alptraum beginnt im Sommer 2020
Eigentlich lief in Basel auf der Torwartposition alles nach Plan. Omlin konnte man teuer verkaufen und mit Nikolic hatte man einen jungen Torhüter mit viel Potenzial in den eigenen Reihen. Erste Zweifel kamen aber im Europa League-Viertelfinale gegen Donetsk und im Pokalfinale 2019/20 auf: Ein Lapsus des mittlerweile 23-Jährigen machte YB zum Cupsieger. Nikolic startete also mit einer gewissen Hypothek in die neue Saison, die durch den Zuzug von Heinz Lindner, der, wie allen klar war, eigentlich eine überqualifizierte Nummer 2 ist, weiter akzentuiert wurde. Debatten über Nikolics Eignung als FCB-Nummer 1 und seine mentale Stärke dürften ihm kaum geholfen haben.
Zum Saisonstart 2020/21 reihten sich nämlich Unsicherheiten und Fehler aneinander, ehe für ihn im vergangenen Herbst der nächste Rückschlag folgte:
Auf der Reise mit der serbischen A-Nationalmannschaft infizierte er sich mit Covid-19 und musste in Quarantäne. Somit bot sich Heinz Lindner die Chance, Nikolics Platz zu ergattern.
Der Österreicher liess sich nicht zweimal bitten: Mit herausragenden Auftritten und Monstersaves war er der stabile und sichere Rückhalt, der dem FCB mit Nikolic im Tor gefehlt hatte. Sforza konnte Lindner verständlicherweise nicht mehr aus dem Tor nehmen und Nikolic sitzt seitdem nur noch auf der Bank. Gerade bei den FCB-Fans geniesst der Serbe kein grosses Standing und niemand trauerte seiner Degradierung nach. Es kam aber noch schlimmer für ihn: Als Cup-Goalie ging Nikolic unglücklicherweise und ohne grosse Schuld in die Geschichte ein, als derjenige Torwart, der bei der historischen Schmach gegen den FC Winterthur 6 Tore kassierte.
Zukunftsperspektiven
Es ist davon auszugehen, dass Nikolic, sofern sich Lindner nicht verletzt, in dieser Spielzeit keine Minute mehr für den FC Basel auf dem Platz stehen wird. Im Sommer bieten sich mehrere verschiedene Möglichkeiten an:
Alles bleibt wie es ist:
Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass sich Nikolic mit seinen Ansprüchen (nicht zuletzt bzgl. Nationalmannschaft) und nach all dem zerbrochenen Geschirr nochmals für ein Jahr auf die Bank setzt. Ein Transfer wäre wahrscheinlicher. Sind beide Parteien wider Erwarten mit dem Status Quo einverstanden, ist nicht auszuschliessen, dass das bewährte Modell mit Heinz Lindern als Nummer 1 und Nikolic als dessen Stellvertreter auch in der nächsten Saison zum Tragen kommen wird. Eine andere Frage ist, inwiefern man in Heinz Lindner, immerhin schon 30 Jahre alt, eine langfristige Nummer 1 sieht.
Neuer Versuch mit Nikolic als Nr. 1:
Das wohl unwahrscheinlichste Szenario: Lautsprecher Lindner müsste in diesem Fall eine Degradierung akzeptieren und Nikolic, der in Basel nicht viel Kredit geniesst, den Vortritt lassen. Der Serbe müsste gleich in seinen ersten Auftritten auf ganzer Linie überzeugen und keinen Zweifel daran lassen, dass es die richtige Entscheidung war, auf ihn zu setzen. Das Tischtusch scheint aber zerschnitten, es wäre eine definitv grosse Überraschung.
Alles auf Anfang:
Ein Nikolic-Abgang ist Stand jetzt wohl unausweichlich, auch wenn sein Vertrag noch bis 2022 läuft. Lindner könnte sich als Herausforderer einem starken neuen Torwart stellen. Gesucht wäre ein Goalie, der schon ein gewisses Mass an Erfahrung und trotzdem noch Entwicklungspotenzial besitzt. Ein neues, starkes Gesicht auf dieser Position täte wohl dem ganzen Klub gut. Mit Lindner hätte man dann eine sehr solide Nummer 2 in der Hinterhand. Nikolic müsste sich also einen neuen Verein suchen. Vielleicht käme ein Transfer in die Challenge League oder zurück nach Serbien in Frage.
Die FCB-Abwehr floppt unter Sforza: https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/unter-koller-top-unter-sforza-ein-flop-vier-gruende-warum-der-fcb-nicht-ganz-dicht-ist-id16337057.html
Goalie-Diskussion in Basel: https://telebasel.ch/2020/12/07/das-naechste-kapitel-in-der-goalie-diskussion/?channel=105110
FCB hat ein Goalie-Problem: https://www.nau.ch/sport/fussball/fc-basel-nach-nikolic-flop-auch-noch-ein-goalie-problem-65771793