Der Wiler Weg: Einblicke in den Ostschweizer Challenge League-Klub

Nachdem die türkischen Investoren mit ihrem zum Scheitern verurteilten „Projekt“ im Winter 2017 verbrannte Erde im Bergholz hinterliessen, verfolgt der FC Wil – mittlerweile wieder in Schweizer Hand – eine ganz bestimmte Philosophie. Bolzplazz wirft einen genauen Blick auf den Klub aus dem Fürstenland und zeigt unter anderem die Rolle von Trainer Alex Frei auf.

© Sam Modestia / Sandro Färber

Das Jahr 2004 dürfte für den FC Wil zur turbulentesten Periode der Vereinsgeschichte zählen: Zum einen feierte man mit dem überraschenden Cupsieg den bisher einzigen Titel der Vereinshistorie und nahm am UEFA-Cup teil, zum anderen stieg man nach zwei Spielzeiten in der NLA wieder in die Zweitklassigkeit ab. Doch seither kann man beim im Jahr 1900 gegründeten Klub von einer der wenigen Konstanten im Schweizer Fussball sprechen. Die Wiler spielen nämlich seit mittlerweile 17 Saisons permanent in der Challenge League. Ausnahmen vorbehalten, hatten die Ostschweizer in diesen Spielzeiten weder ernstzunehmende Aufstiegsambitionen noch akute Abstiegssorgen ­­und klassierten sich daher meist in den Mittelfeldregionen der Tabelle.

Nach dem unrühmlichen Abgang der vermeintlichen „Heilsbringer“ aus der Türkei vor vier Jahren konnte der Verein nur dank Spenden von Privatpersonen und regional verankerten Unternehmen finanziell gerettet werden. Folglich erstaunt es nicht, dass die Wiler finanziell gezwungenermassen kleine Brötchen backen müssen. Mit einem jährlichen Budget von rund 2,5 Millionen Franken zählt der FC Wil zu den Schlusslichtern in der Challenge League; nur der FC Chiasso und der FC Stade-Lausanne-Ouchy haben noch weniger Kapital zur Verfügung. Doch anstatt sich mit Lamentieren über das schmale Budget zu beschäftigen, gehen die Verantwortlichen des FC Wil seit etwa zwei Jahren einen ganz bestimmten Weg. Die Ostschweizer sehen sich selbst konsequent als Ausbildungsverein, der junge Spieler entdeckt, fördert und in der zweithöchsten Spielklasse der Schweiz eine entsprechende Plattform im Profifussball bietet. Der eingeschlagene Kurs macht aufgrund der klammen finanziellen Möglichkeiten und der ausgezeichneten Nachwuchsabteilung gleich doppelt Sinn. Da die U-Mannschaften des FC Wil der Vereinigung „Future Champs Ostschweiz“ (FCO) angehören, arbeitet man im Jugendbereich insbesondere eng mit dem FC St. Gallen 1879 zusammen. Durch diese Kooperationen profitiert man gegenseitig ungemein und man verfügt über einen riesigen Pool an verheissungsvollen jungen Talenten aus der gesamten Ostschweiz. Diese tiefe Verwurzlung mit der Region freut nicht nur die Fans, sondern bietet auf allen Ebenen viele Vorteile – Stichwort Identifikation mit der Gegend und dem Verein.

Nebst dem Hochziehen von begabten Spielern aus dem FCO in die erste Mannschaft, verfolgen die Wiler ihre Philosophie als Ausbildungsverein auch mit interessanten Ausleihen von talentierten jungen Fussballern. Im momentanen Kader der Saison 2020/2021 stehen ein Dutzend ausgeliehene Talente. Die meisten Leihgeschäfte vereinbart das Team rund um Sportchef Jan Breitenmoser mit Klubs aus der Super League. Doch auch mit den österreichischen Vereinen Red Bull Salzburg und SCR Altach wurden entsprechende Deals vereinbart. Da eine Herangehensweise, die ausschliesslich auf junge Spieler setzt, im Profigeschäft nicht wirklich funktionieren kann, verfügt das Team mit Aggressivleader Muntwiler (33) und Rekordtorschütze Silvio (36) zumindest über zwei äusserst erfahrene Haudegen. Die beiden Routiniers sollen leistungstechnisch vorangehen, die unfertigen Talente führen und ihnen wertvolle Ratschläge mit auf den Weg geben. Ansonsten finden sich im Kader der Wiler wenige Spieler die älter als 25 Jahre sind. Trainer Alex Frei stellte in dieser Saison schon sechsmal die jüngste Startformation der Challenge League auf den Rasen (von 21,6 bis 22,5 Jahre). Diese Statistik beweist, dass die Verantwortlichen nicht nur leere Phrasen von sich geben, sondern den eingeschlagenen Weg als Ausbildungsverein konsequent verfolgen. Wir werfen nun einen Blick auf drei der vielversprechendsten Talente des FC Will.

Philipp Köhn (22) – Torwart

MSV Duisburg, Schalke 04, VfB Stuttgart und RB Leipzig: Der im nordrhein-westfälischen Dinslaken geborene Keeper durchlief als Jugendlicher einige der besten Nachwuchsakademien im Deutschen Fussball. Im Sommer 2018 wurde Köhn für knapp 1 Million Euro von den Leipzigern zum anderen RedBull-Verein aus Salzburg verkauft. Für das Farmteam FC Liefering machte er in Österreichs 2. Liga einige Partien, ehe er letzten Sommer nach Wil ausgeliehen wurde. Der hervorragend ausgebildete Torwart hat ein sauberes Aufbauspiel, starke Reflexe und mit einer Grösse von 1,90 m bringt er auch körperlich alle Voraussetzungen mit, um eine grosse Karriere zu machen. Es ist fraglich, ob die Wiler den mittlerweile einmaligen Schweizer U21-Internationalen über die Saison hinaus halten können.

Jan Kronig (20) – Innenverteidiger

Der Defensivakteur spielte in seiner frühen Jugend bei seinem Heimverein in Brig-Glis. Im Alter von elf Jahren wechselte er im Juli 2011 zu den Young Boys. Dort durchlief er sämtliche Jugendmannschaften und trug in der zweiten Mannschaft der Berner gar regelmässig die Kapitänsbinde. Gegen Ende der Saison 2018/2019 machte Kronig gar zwei Spiele über 90 Minuten für YB und darf sich so mit seinen 20 Jahren bereits Schweizer Meister nennen. Nach einer Ausleihe an den FC Schaffhausen, steht Kronig mittlerweile seit letztem Sommer in Diensten des FC Wil und ist unangefochtener Stammspieler. Der 1,86m-Mann lässt sich als moderner Innenverteidiger beschreiben. Er verfügt über ein ruhiges Passspiel, Zweikampfhärte und auch Führungsqualitäten sind trotz seines jungen Alters bereits zu erkennen. Darüber hinaus hat der Schweizer U20-Internationale durchaus Qualitäten in der Offensive: In der UEFA Youth League 2018/2019 gelangen ihm mit den Young Boys in sechs Spielen beeindruckende vier Treffer.

Maren Haile-Selassie (21) – Linker Mittelfeldspieler

Der Schweizerisch-Äthiopische Doppelbürger gehört dem FC Zürich und wurde schon an Rapperswil-Jona und Neuchâtel Xamax ausgeliehen. Mit der wertvollen Erfahrung von 31 Einsätzen in der Super League, kickt Haile-Selassie seit dieser Saison im schwarz-weissen Dress und ist der wichtigste Offensivakteur der Wiler. Meist auf der linken Aussenbahn eingesetzt, zieht der Rechtsfuss mit Speed und Dynamik gerne nach innen und kann in dieser Spielzeit in 17 Partien 3 Tore und 2 Assists vorweisen. Die Stärken von Haile-Selassie liegen in der Geschwindigkeit und im Dribbling. Mit seiner Wendigkeit ist er für die gegnerischen Abwehrreihen schwer zu greifen. Der gebürtige Stadtzürcher lief sechs Mal für die Schweizer U20-Auswahl auf und hat definitiv das Talent, ein überdurchschnittlicher und aufregender Spieler zu werden. Kann Haile-Selassie sein volles Potenzial künftig konstant abrufen, dürfte der FCZ noch viel Freude an ihm haben.

Nach Ciriaco Sforza steht derzeit mit Alex Frei die zweite Ikone des Schweizer Fussballs an der Seitenlinie der Fürstenländer. Nicht nur für Spieler ist der FC Wil ein top Ausbildungsverein, auch für Trainer sind die Klub-Gegebenheiten äusserst reizvoll. Für Frei ist der FC Wil die erste Trainerstation im Profifussball. Die Arbeit mit jungen Talenten, die Beschaulichkeit und das familiäre Umfeld des FC Wil haben gemäss Aussagen Freis bei seinem Amtsantritt im Sommer den Ausschlag pro Wil gegeben. Doch auch die Ostschweizer profitieren von der Installation des früheren Vollblutstürmers als Übungsleiter enorm. Die grosse Strahlkraft Alex Freis dürfte bei der Verpflichtung des einen oder anderen Spielers das berühmte Zünglein an der Waage gewesen sein. Für beide Parteien also eine absolute Win-Win-Situation.

Der gebürtige Basler lässt einen sehr variablen Fussball spielen: Je nach Gegner agiert seine Mannschaft im 3-4-1-2, 4-2-3-1 oder einer offensiven Variante des 4-3-3. Nach 18 gespielten Partien stehen die Wiler mit 22 Punkten zwar „nur“ auf Rang 7 der Tabelle, jedoch entspricht die Erwartungshaltung im Umfeld des Vereins aufgrund des jungen Teams etwa dem Geleisteten. Mit dem Auf- und Abstieg dürften die Wiler auch in dieser Saison nichts zu tun haben. Folglich hat Alex Frei fernab des grossen Medientrubels genügend Zeit, seine Talente in Ruhe weiterzuentwickeln. Gleichzeitig wird sich auch Alex Frei stetig verbessern und Fortschritte machen. Im November letzten Jahres bekam er mit der UEFA Pro Lizenz das höchste Trainerdiplom überhaupt überreicht. Mit seinem Charisma, seiner Ausstrahlung, der positiven Verbissenheit und seiner simplen Liebe zum Fussball dürften Alex Frei für seine weitere Trainerkarriere alle Türen offenstehen. Der FC Wil ist als Ausbildungsverein der perfekte Startpunkt seiner Laufbahn.

Warum der FC Wil in die Erfolgsspur gefunden hat: https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wil/halbzeit-analyse-und-ploetzlich-laeuft-es-warum-der-fc-wil-in-die-siegesspur-zurueckgefunden-hat-ld.2094482?reduced=true

Mehr Zuschauer-Einnahmen trotz Corona: https://hallowil.ch/trotz-corona-der-fc-wil-hat-bei-den-zuschauer-einnahmen-zugelegt.html

Silvio kehrt zurück: https://www.transfermarkt.ch/silvio-kehrt-per-sofort-zum-fc-wil-zuruck/view/news/377233

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