- Emanuel Staub
Christopher Lungoyi: Vom Ausnahmetalent zum Sorgenkind
Christopher Lungoyi betrat als Shootingstar in der Rückrunde der Saison 2019/20 die Schweizer Fussballbühne. Nach eineinhalb Jahren beim FC Lugano ist davon aber nicht mehr viel zu sehen. Was ist mit dem Schweizer U21-Nationalspieler passiert? Bolzplazz klärt auf.
Ein Servette-Eigengewächs dribbelt im Tessin
Christopher Lungoyi, variabel in der Offensive einsetzbar und heute 21-jährig, wechselte im Januar 2020 aus dem Nachwuchs von Porto ins Tessin. Zwei Jahre zuvor verliess er seinen Jugendklub Servette, um den Traum einer grossen Karriere in Portugal zu verwirklichen. Sein Wechsel löste in Genf damals wenig Begeisterung aus, schliesslich erhoffte man sich einiges von Lungoyi, erste Einsätze in der Challenge League hatte er bereits absolviert. Mit seinem Wechsel reihte er sich aber in eine lange Liste junger Eigengewächse ein, die Servette sehr früh verliessen und führte damit eine "Tradition" fort, die bis heute Bestand hat: Kaum ein anderer Schweizer Klub verliert seine Juwele so schnell und so oft wie Servette. Vor Lungoyi nahmen Spieler wie Kevin Mbabu, Denis Zakaria, Jérémy Guillemenot oder Dereck Kutesa den selben Weg, nach ihm waren es Toptalente wie Alexandre Jankewitz, Becir Omeragic, Enzo Adeagbo oder Leorat Bega.
Bei Porto ohne Aussicht auf Spielzeit in der 1. Mannschaft, entschied sich Lungoyi also vor eineinhalb Jahren zu einem Wechsel zurück in die Schweiz. Bei Lugano sollte er die maue Offensive mit seinem Tempo und seiner Unberechenbarkeit beleben. Trainer Maurizio Jacobacci fand schnell Gefallen an Lungoyi und gab ihm alsbald eine grössere Rolle in der Tessiner Offensive. Die Rückrunde der Saison 2019/20 gehörte ihm: Mit enorm viel Spielfreude und spitzbübischer Leichtigkeit tanzte sich Lungoyi durch die Liga, am Ende standen in 12 Einsätzen 2 Treffer und 2 Vorlagen zu Buche – mit ein wenig mehr Konsequenz wäre sogar noch deutlich mehr dringelegen.
Was für Lugano fast noch wichtiger war als die Scorerpunkte, die er sammelte, waren Lungoyis Dribblings und seine Frechheit mit dem Ball am Fuss. Die Tessiner hatten unter Jacobacci stets mit dem Image einer defensivorientierten Rumpeltruppe zu kämpfen. Lugano war zwar hart zu bezwingen, sorgte aber kaum je für spielerische Glanzpunkte. Mit Lungoyi änderte sich das zum Teil. Als gelernter Flügelstürmer brachte er eine äusserst attraktive Dynamik mit, bestehend aus hohem Tempo und technischer Raffinesse, die sich in spektakulären Dribblings niederschlug. Nur Edon Zhegrova (Basel, 13.5) und Boubacar Fofana (Servette, 11.2) wagten in der abgelaufenen Saison pro 90 Minuten mehr Dribblings als Lungoyi (10.1) – was ihn zum dribbelfreudigsten Spieler der Liga mit Schweizer Pass macht.

Wechsel zu Juve und Absturz in der zweiten Saison
Auch wenn die Dribbelquote stimmte: Die tolle erste Halbsaison konnte Lungoyi in der letzten Spielzeit nicht bestätigen. Nicht ein einziges Mal durfte er 2020/21 über die vollen 90 Minuten ran, gerademal 8x durfte er in der Super League von Beginn an mittun. Die deutlich reduzierte Spielzeit beeinflusste auch seine Statistiken merklich: In insgesamt 26 Liga-Einsätzen kam er in der letzten Saison auf die schwache Quote von 2 Scorerpunkten (1 Tor, 1 Assist). Deutlich zu wenig für einen Spieler seiner Anlagen. Im Cupachtelfinale erzielte er in diesem Frühling zwar einen Hattrick gegen Monthey, der Gegner stammt aber aus der vierthöchsten Liga. Und auch unter dem neuen Trainer Abel Braga spielt er in dieser noch sehr jungen Saison bislang keine Rolle. Nur an einem der drei Spieltage stand er überhaupt im Kader, auf seine ersten Super League-Minuten 2021/22 wartet er noch gänzlich.
Wie lässt sich dieser deutliche Abfall an Spielzeit und Leistung erklären? Wir haben bei Luca Sciarini nachgefragt, einem Tessiner Sportjournalisten, der dem FC Lugano sehr nahe steht. "Es ist schwer zu sagen, was passiert ist", so Sciarini. "Jacobacci brauchte einen Stürmer, der sich mehr für das Team opfert und eine Defensivmentalität mitbringt. Das verlangte er von seinen Spielern und Lungoyi hat es bis heute nicht gelernt." Auch, dass Neu-Coach Braga keine Verwendung für ihn zu haben scheint, kann Sciarini erklären: "Wenn Braga sein Team erst einmal gefunden hat, verändert er es nicht mehr gerne. Sogar Abwehrchef Mijat Maric spielt bislang keine Rolle."
Einen weiteren möglichen Grund für den Absturz des einstigen Shootingstars sieht Sciarini in dessen Wechsel zu Juventus Turin im vergangenen Winter begründet. Die Alte Dame verpflichtete Lungoyi für seine U23, verlieh ihn aber direkt bis Sommer 2022 an den FC Lugano zurück. Seit der Wechsel publik wurde, wirkt er weniger konzentriert, ja teilweise schon fast lustlos. Oder täuscht der Eindruck? Sciarini: "Gut möglich, dass sein Kopf seither in den Wolken ist, zumindest in den ersten Monaten nach dem Wechsel." Der Transfer stiess in Lugano auf wenig Verständnis. Wieso in eine Reservemannschaft wechseln, wenn man den Sprung in den Profifussball bereits geschafft hat? Eine berechtigte Frage.
Einen weiteren Erklärungsansatz für Lungoyis Negativentwicklung bringt Giacomo Notari ein, seines Zeichens ebenfalls Tessiner Fussballreporter: "Jacobaccis 3-5-2-System passte einfach nicht zu Lungoyi. Er ist ein gelernter Flügel, seine Position existiert in dieser Formation aber nicht. Er musste meist als Mittelstürmer spielen, was nicht seinen Fähigkeiten entspricht." In der Tat ist Lungoyi weit wirkungsvoller auf dem Flügel, wo er mit Tempo und seiner Stärke im Eins gegen Eins für den Unterschied sorgen kann. Als Stossstürmer sind seine Qualitäten ein Stück weit verschenkt. Zudem fehle ihm aktuell noch die Abschlussstärke: "An seinem Abschluss muss er zwingend arbeiten, oft fehlt die letzte Konsequenz."
Ein ungeliebtes System und eine unpassende Position: Lungoyis Frustration ist irgendwo sicher verständlich. Notari: "Seine Arbeitseinstellung muss sich einfach verbessern, auch wenn das System nicht seinen Stärken entspricht. Während dem Training fehlte ihm oft der Fokus und die Lust. Er muss jetzt aufwachen, denn sonst wird es für ihn in Zukunft sehr schwer."
Was hält die Zukunft bereit?
Lungoyi versteht sich als Künstler, ein Freigeist auf dem Platz. Dass Luganos defensive Spielausrichtung seine Qualitäten nicht optimal zum Vorschein bringt, fördert seinen Arbeitswillen nicht wirklich. Will er seine Karriere aber nicht schon früh versanden lassen, muss er Braga beweisen, bereit und heiss zu sein. Im nächsten Sommer wird er in Turin erwartet, kommt er ohne Spielpaxis und ohne Form an, dürfte es für ihn in Italien noch schwerer werden, als das wohl eh schon der Fall sein wird.
Aus neutraler Sicht hofft man, dass dieser freche, unglaublich spielfreudige Fussballer so bald wie möglich zurück in die Spur findet. Er kann eine Bereicherung für den Schweizer Fussball sein und sollte sein grosses Talent nicht einfach vergeuden. Das dürfte auch U21-Nationaltrainer Mauro Lustrinelli so sehen: In diesem Sommer berief er Lungoyi, der sämtliche Schweizer Auswahlstufen durchlaufen hat, erstmals in die neu zusammengesetzte U21-Nati. Lungoyi hat das Zeug, ein Posterboy dieser neuen Equipe zu werden.